Chorkonzert vom 21.03.1997

Presse-Echo

Demut vor Bachs Erbe
Madrigalchor Kerpen glänzte mit der Johannes-Passion

[Nicole Ritter] Als der Eisenacher Stadtmusikus Johann Ambrosius Bach am 21. März 1685 sein achtes Kind Johann Sebastian Bach im Taufregister verzeichnen ließ, konnte niemand ahnen, dass das Lebenswerk des Knaben die Jahrhunderte überdauern würde. Exakt am 312. Geburtstag des barocken Meisters richtete der Madrigalchor Kerpen mit einer Aufführung der 1724 zum ersten Mal erklungenen "Johannes-Passion" nun gleich zwei Geburtstagsfeiern aus. Denn neben dem Ehrentag des Thomaskantors Johann Sebastian Bach galt es, zugleich den 15. Geburtstag der "Sindorfer Abendmusiken" zu feiern – jener Konzertreihe, die von Kantorin Gudrun Bonnemann ins Leben gerufen wurde und seitdem künstlerisch betreut wird. Es ist ihre berstende Energie und ihre tiefe Einsicht in die Bachsche Tonsprache, mit der sie Musiker und Hörerschaft gleichermaßen mitreißt. Auch in diesem Konzert glichen ihre Anweisungen wieder den Gesten einer Bildhauerin, die – freilich in der Luft – einen lange vertrauten Gegenstand modelliert.

Mit dem Madrigalchor stand ihr wieder ein hochdiszipliniertes Medium zur Verfügung: In nahtlosen Übergängen vom Evangelientext zu den brachialen Worteinwürfen des Volkes beschworen die Kerpener dramatische Spannung herauf. Die Choräle, gesungene Gemeindebekenntnisse, formten sie zu Stätten gemeinschaftlichen Innehaltens. In zartesten Klangfarben dahingehauchte Choralverse oder das brachiale "Kreuzige"-Geschrei der Massen – die Leistung des Chores konnte sich mit mancher Profidarbietung messen.

Eindrucksvoll auch die Wahl der Solisten: Die international konzertierende Sopranistin Ingrid Schmithüsen überzeugte in ihrer Partie wieder einmal mit ihrer erstaunlichen Gabe, auch extremste Gemütsverfassungen – von tiefster Erschütterung bis zu himmeljauchzender Freude – Gestalt werden zu lassen. Die Freiburger Altistin Claudia Schubert bot ihre beiden Arien in einer Sphäre von Milde und Sanftmut dar. Und auch die beiden Bässe Stephen Grant und Norbert Keßler beeindruckten durch ihre Souveränität. Der Löwenanteil jedoch kam dem Tenor Peter Schmitz als Evangelist zu, der mit seiner lebendigen Deklamationsweise manche stimmliche Unsicherheit in der Höhe vergessen machte. Mit der Verpflichtung des Barockorchesters "Accademia Filarmonica" unterstrichen die Veranstalter (Stadt Kerpen, VHS Bergheim) ihren Ruf als einer der frühesten Pflegestätten historischer Aufführungspraxis in der Region. Mit einem satt ausgebauten Bassfundament, klanglich aparten Holzbläsern und einem wendigen Streicherapparat rekonstruierten sie die Buntheit und Schärfe historischer Aufführungspraxis. Applaus für ein durchweg schlüssig dargebotenes künstlerisches Konzept, in dem vor allem eines spürbar wurde: Demut vor dem Erbe Bachs! (Kölner Stadt-Anzeiger vom 24.03.1997)


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